Ego Shooter Konsole Next Generation Spieletests

Half Life

(Valve, 2001)

Wenn man sich bei Dreamcast-Anhängern nach den größten Enttäuschungen in der Dreamcast-Geschichte erkundigt, bekommt nicht selten die nie erschienene Umsetzung des PC Spiels “Half Life“ genannt (natürlich neben der viel zu kurzen Lebensdauer der Konsole). Der Grund für diesen skandalösen Umstand war aber nicht, daß es sich bei Half Life um ein qualitativ schlechtes Spiel gehandelt hätte. Bekanntermassen war genau das Gegenteil der Fall. Half Life bot dermaßen viele Innovationen und Spielspaß, daß dieser Titel auf dem PC auf Anhieb zur neuen Referenz im Ego Shooter Genre avancierte.

Einer der Hauptgründe hierfür waren vielmehr „wechselnde Marktbedingungen“. Dies liessen zumindest die damaligen Entwickler von Valve Software verlauten. Gemeint war damit wohl die verhältnismäßig schwache Verbreitung von Segas 128 Bit Konsole. Nach Segas wenig später folgenden Ankündigung, sich zukünftig komplett aus dem Hardwaregeschäft zurückzuziehen, war es um eine adäquate Umsetzung der PC Ballerei (sowie die Umsetzung aller halbfertigen Titel, der anderen Hersteller) endgültig geschehen. Umso trauriger war die Tatsache, dass die Dreamcast Umsetzung von Half Life im Jahre 2001 eigentlich so gut wie fertig war und bereits als Preview- Version an diverse Fachzeitschriften verschickt wurde.

Ihr könnt euch nun vielleicht vorstellen, daß mir beim Durchlesen der aktuellen M!Games (Ausgabe 09/09) buchstäblich der Draht aus der Mütze gesprungen ist, als ich in einem Interview eine beiläufige Aussage von Doug Lombardi (seines Zeichens PR-Vizepräsident von Valve Software) entdeckte, in der er alle Sega Fans dazu ermutigt, sich die mittlerweile im Internet veröffentlichte Half Life Version für die Dreamcast mehr oder weniger legal herunterzuladen. Jetzt also, nach sage und schreibe 8 Jahren Verspätung, dürfen wir endlich loslegen!
Zu den bereits angesprochenen Innovationen zählte zweifelsfrei, die wendungsreiche Story, welche bei Half Life seinerzeit (besonders was das Genre der First Person Shooter angeht) wirklich als genial bezeichnet werden kann. Das besondere daran ist, daß man sich von Anfang an voll in die Handlung hineingezogen fühlt. Dafür sorgen unter anderem die gescripteten Story-Sequenzen. Kleine Kostprobe gefällig? Anfangs begleitet ihr euren Protagonisten (Gordon Freeman) auf seinem täglichen Weg zu seinem Job in einem wissenschaftlichen Labor. Ihr werdet von euren geschwätzigen Kollegen im Hausgang begrüßt und der Sicherheitsmann berichtet euch aufgeregt vom Computercrash am Morgen. Zu diesem Zeitpunkt fühlt sich der Spieler, als wäre er mittendrin statt nur dabei. Der dichten Atmosphäre kann man sich wirklich nur schwer entziehen. Aber zurück zur eigentlichen Story. Nach einem fehlgeschlagenen Experiment ereignet sich plötzlich ein folgenschwerer Unfall, woraufhin sich im gesamten Forschungszentrum Tore zu einer Parallelwelt öffnen (CERN lässt grüssen). Aber damit nicht genug. Aus diesen geheimnisvollen Portalen dringt eine Horde todbringender Aliens ein und innerhalb kürzester Zeit sind die meisten Mitarbeiter mutiert oder tot. Jetzt heißt es für Gordon möglichst lebend aus dem Laborkomplex zu entkommen und schnellstens Hilfe zu holen.

Neue Egoshooter Dimension

Dass dies nicht einfach wird, ist klar. Dies liegt aber nicht nur an den fiesen Aliens, die euch nach dem Leben trachten, sondern auch an vielen kleinen oder größeren Überraschungen, die die Entwickler in das Spiel gepackt haben. Es gilt Unmengen an Rätseln zu lösen oder haarige Sprungeinlagen zu meistern. Interessant ist auch, daß Ihr computergesteuerte NPCs zur Seite gestellt bekommt, die euch zum Beispiel dabei helfen, speziell gesicherte Bereiche zu betreten. Manchmal geben euch die Kollegen auch mal Feuerschutz, wenn es zu brenzlig wird. Bei der ganzen Ballerei kommt die Story aber glücklicherweise nie zu kurz. Wieso versucht euch das Militär auszuschalten, anstatt euch zu helfen oder wer ist der geheimnisvolle Mann mit dem Aktenkoffer, der während des Spiels immer wieder kurz auftaucht und genauso schnell wieder verschwindet? Mich hat das Spiel komplett in seinen Bann gezogen. Ständig ertappt man sich dabei, wie man einfach nur weiter spielt, um zu sehen, wie die Story weiter geht.

Eine ebenfalls interessante Neuerung des Spiels ist der Spezial-Anzug, welcher Gordon einen gewissen Schutz bietet. Erst wenn Ihr allzu häufig von Gegnern attackiert werdet, oder aus großer Höhe abstürzt, leert sich die Energieanzeige eures Anzugs und ihr erleidet ernsthaften Schaden. Hin und wieder finden sich im Spiel aber glücklicherweise Energiezellen, mit denen Ihr euren Anzug wieder aufladen könnt.

Technisch auf Augenhöhe mit den Besten

Nicht nur vom Gameplay her macht die Dreamcast Version des Spiels einen hervorragenden Eindruck, natürlich bewegt sich auch die Grafik auf hohem Niveau. Dafür verantwortlich ist vor allem die stark modifiziert Quake II Engine, die sowohl bei der ursprünglichen PC Version, als auch auf der Dreamcast für Begeisterung sorgt, auch wenn die Grafikpracht mit damaligen Konkurrenten wie Unreal oder Turok II nicht ganz mithalten konnte. Aber darüber kann man locker hinweg sehen, denn das Spiel sieht ansonsten keinen Deut schlechter aus, als die 3 Jahre ältere PC Version. Besonders wenn ihr die Dreamcast über ein VGA-Kabel an einen PC Monitor angeschliesst. Wirklich klasse, dass der VGA-Modus hier im Gegensatz zu vielen offiziell erschienen Dreamcast Spielen, unterstützt wird.

Der Schwierigkeitsgrad läßt sich in drei Stufen einstellen. Aber egal welchen Schwierigkeitsgrad Ihr wählt, was immer gleich bleibt, ist die für damalige Zeit hervorragende KI der Gegner. Die meisten eurer Widersacher rennen nicht wie in vielen aktuellen Spielen blind auf euch zu, sondern greifen zumeist aus einem Hinterhalt an und ziehen sich danach oft wieder in ein Versteck zurück, um euch daraufhin erneut anzugreifen.

Ein interessantes Feature (vor allem für PC Spieler) ist übrigens die optionale Steuerungsvariante via Maus und Tastatur (wie übrigens bei fast allen Dreamcast Ego Shootern). Da fragt man sich wirklich, warum das eigentlich nicht auch bei aktuellen PS3 oder Xbox 360 Titeln möglich ist. Die Dreamcast war ihrer Zeit wirklich weit voraus.

Kritikpunkte

Kommen wir noch kurz zu den Kritikpunkten. Man sollte immer im Hinterkopf behalten, daß es sich bei HL für die Dreamcast nur um ein „fast“ fertiges Spiel handelt. Etwas mehr Entwicklungszeit hätte dem Spiel demnach sicherlich noch zur Perfektion verhelfen können. Als erstes wird einem mit Sicherheit das häufige Nachladen während des Spiels auffallen. Die Ladezeiten sind zwar relativ kurz, dafür sind sie aber umso häufiger und stören den Spielfluss doch gewaltig (liegt natürlich auch am relativen kleinen Arbeitsspeicher der Dreamcast). Leider gibt es von Zeit zu Zeit auch Einbrüche in der Framerate, was sich bei viel Action auf dem Screen, in unschönen Rucklern bemerkbar macht. Wie bereits erwähnt habe ich mich zwar zunächst sehr über die Maus- und Tastaturunterstützung gefreut, aber leider lässt sich die Maussteuerung nicht umkehren. Ich fand dieses fehlende Feature persönlich sehr bedauerlich.

Umsetzungen, Nachfolger, Spin-Offs

Aufgrund der unglaublichen Popularität von Half Life folgten diverse Spin-offs für den PC (Opposing Force – 1999, Team Fortress Classic – 1999, Counter Strike – 1999, Blue Shift – 2001 und Counter Strike: Condition Zero – 2004). Besonders interessant dürfte hier wohl Counter Strike sein. Ich werde auf diesen Klassiker an dieser Stelle zwar nicht näher eingehen, aber ich empfehle euch in diesem Zusammenhang einen Artikel bei Spiegel-Online. Wirklich sehr lesenswert!

Ebenfalls interessant ist das Spin-off Half Life – Blue Shift, welches nun ebenfalls auf der Dreamcast gespielt werden darf. In der Rolle des Sicherheitsmannes Cahun versucht ihr aus dem Black Mesa Komplex zu fliehen. Da ich das Game leider (noch) nicht ausreichen anspielen konnte, kann ich hierzu nur aus anderen Quellen zitieren, die dieses Erweiterungsset als nicht besonders gelungen bezeichnen. Blue Shift ist eine solide Erweiterung, aber leider ohne große nennenswerte Verbesserungen. Hier und da gibt es ein paar neue Gegner, oder neue Waffen, aber ansonsten viel Bewährtes. Die Spieldauer ist mit 2-3 Stunden zudem viel zu kurz geraten. Diese Erweiterung ist übrigens auch der einzig nennenswerte Unterschied zur PS2 Umsetzung von HL. Während nämlich Dreamcast-Besitzer exklusiv mit der Blue Shift Erweiterung bedacht wurden, bekamen PS2-Besitzer eine Erweiterung namens Half Life – Decay spendiert. Im Jahr 2004 kam dann schlussendlich der offizielle Nachfolger Half Life 2 (PC) auf den Markt. Um dieses Prequel wurde wegen dem mittlerweile recht hohen Bekanntheitsgrad der HL Reihe ein wesentlich größerer Medien Hype entfacht. Nicht zu unrecht wie sich herausstellen sollte. Denn zusätzlich zu den bekannten Stärken des Vorgängers, kam diesmal eine bisher nie da gewesene Physikengine zum Einsatz, welche zusätzlich völlig neue Möglichkeiten ins Spiel brachte.

Fazit: Der Einfluß von Half Life, speziell auf das Genre der Ego Shooter, ist wohl unumstritten. Fast alle heutigen Genrevertreter greifen auf irgendeine Art auf die Innovationen zurück, die Half Life seinerzeit einführte. Nennt mich also einen Fanboy oder Nerd, meine Meinung steht fest. Half Life und die Fortsetzung Half Life 2 waren und sind vielleicht die besten Vertreter Ihres Genres. Es kam bisher wirklich nicht oft vor, daß ich einen Shooter dermaßen oft durchgespielt habe und die Frage, ob es sich nun lohnt, im Internet nach der verschollenen Dreamcast Version von HL zu suchen, erübrigt sich wohl von selbst. Wie das genau funktioniert und wo ihr das Spiel findet, will ich hier aber aus Copyright Gründen nicht verraten. Für versierte Zocker dürfte dieses Manko aber eher eine kleine Hürde darstellen.

 

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