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Interview mit Winnie Forster

1990 war eine Karriere als Spielejournalist in Deutschland noch sehr ungewöhnlich. Was war Deine Motivation, ausgerechnet diesen Berufsweg einzuschlagen?

Winnie Forster: Der Mangel an Hintergrund-Info und guter Fachliteratur zum damals jüngsten Unterhaltungsmedium war der Grund, wieso ich in die entstehende Branche einstieg. Als jugendlicher Medien-Freak hatte ich starke Bücher und Zeitschriften zu Filmen, Comics und anderen populären Medien in der Hand, aber nix Brauchbares in deutscher Sprache zu Computer- und Videospielen. Englischsprachige Fachliteratur bezog ich über die „Internationale Presse“ am Hauptbahnhof München, und hatte schon als Schüler ein paar UK-Abos. Electronic Games, White Dwarf und Crash, später ACE und The One zeigten mir, was journalistisch machbar ist, in Deutschland aber noch fehlte.

Wie reagierten Deine Eltern, als du Ihnen erzählt hast, dass Du deinen Lebensunterhalt mit Zocken und dem Schreiben von Spieletests verdienen wirst?

Winnie Forster: Auf breites Verständnis konnte man damals als Videospieler nicht hoffen, noch weniger als heute, das deutet Deine Frage bereits an 😉 Mein Vater war, als Jurist und Dozent, wohl etwas enttäuscht, dass ich trotz Abi, Latinum und Graecum nicht studierte; meine kleine Schwester musste das dann ausbaden, und die ganze akademische Laufbahn meistern. Umstimmen wollten mich meine Eltern nicht, sondern ließen mich – wohl auch, weil ich mit Markt & Technik gleich einen seriösen Arbeitgeber hatte – einfach machen. Ein paar Jahre später unterstütze mein Vater mich dann durch eine Bürgschaft bei der Gründung meiner ersten Firma.

Wie kam der Kontakt mit Deinem ersten Arbeitgeber, dem Börsen-notierten Markt+Technik Verlag, zustande und wie schwer war es, an den Job zu gelangen?

Winnie Forster: Bei M&T bewarb ich mich ganz klassisch, mit zwei Seiten auf Mamis Schreibmaschine, Zeugnis und Lichtbild. Da’s mein erstes Stellengesuch (und ich zu dieser Zeit noch Zivi) war, ging ich konzentriert, aber ohne große Nervosität an die Sache – zum Glück sagte mir damals Keiner, dass das, was ich Anfang 1990 in den Briefkasten warf, meine einzige Bewerbung bleiben sollte. Das Auswahlverfahren zog sich dann über ein gutes halbes Jahr. Nach mehreren Besuchen bei M&T, Gesprächen mit Chefredaktion und Stellvertreter, schließlich mit der Verlagsleitung, saß ich in im Spätsommer 1990 am PowerPlay-Schreibtisch.

Wie wurdest du von deinen PowerPlay-Kollegen (Heinrich Lenhardt, Anatol Locker und Boris Schneider-Johne) aufgenommen?

Winnie Forster: 1990 war Anatol der Chef, Heini – nach seinem kurzen Gastspiel bei Sega – ein fester Freier, Boris bei Rainbow Arts beschäftigt. Neben Anatols Stellvertreter Martin Gaksch hatte PowerPlay damals nur zwei weitere Redakteure, Michael Hengst sowie Volker Weitz, der wenige Monate vor mir eingestellt wurde. Gut tat diesem Kern harter Nerds die weibliche Ummantelung durch kompetentes Sekretariat, nachsichtige CvD und benachbarte Layouterinnen. Wie ich als jüngster M&T-Redakteur aufgenommen wurde? Ich denke, Anatol, Martin und Michael registrierten kurz, dass da ein neuer Spieler an Bord war, hatten aber im 5. Level von „Super Shinobi“ oder im DOS-Dungeon zu viel zu tun, um ihn an der Hand zu nehmen. Ich war schließlich kein Trainee oder Azubi, sondern ein vollwertiges Redaktionsmitglied (dem man freilich erstmal die ungeliebten und vernachlässigten Rubriken aufs Auge drückte). Nach zwei, drei Tagen lief mir in den Redaktionsräumen Heini über den Weg – leicht säuerlich, weil er keine Lust auf den Paris-Flug zu Activision hatte. Die Anderen auch nicht, so dass ich am nächsten Morgen am Flughafen stand und die damalige Activision-Mutter in Frankreich besuchte. Mein Graecum half mir dort gut weiter 😉

Wie dürfen wir uns deinen damaligen Arbeitsalltag vorstellen? Hat man dich gleich an die „großen“ Titel gelassen, oder musstest du erst mal die, na sagen wir mal, qualitativ eher weniger hochwertigen Spiele testen?

Winnie Forster: Hmm, ja. Die Grenze der „Vollwertigkeit“ des neuen Redaktionsmitglieds hast Du gut erkannt: Genauso wie ich nach Paris fliegen musste (während Martin in der Concorde nach New York saß), erntete ich in den morgendlichen Konferenzen anfangs die Testmuster von Ocean, Gremlin und anderen untergehenden GB-Firmen, während Anatol und Michael hand-signierte LucasArts-Prototypen ins Laufwerk schoben, Martin vor einer feinen Auswahl exotischer Mega-Drive- und PC-Engine-Roms thronte. Der Arbeitsalltag? Morgens Konferenz, dann bis abends vor dem DOS-PC oder der Konsole, dazwischen Telefonate mit Bill Stealey, Peter Molyneux oder Wolfram von Eichborn. Nachts privat Weiterzocken, damit es auf der Morgenkonferenz etwas zu erzählen gibt. Der Redaktionstag war dem heutigen nicht unähnlich – Markt & Technik wohl der modernste Verlag Bayerns – aber viel analoger: Kein Internet, kein DTP, keine digitale Fotografie. Wir arbeiteten mit Klebstoff, Rotstift und Schere, Spiegelreflex-Kamera und Dia-Positiven, Taxi, Fax und Flugzeug. Boris, der 1991 als Freier zur PP zurückkehrte, war der erste, der angesichts einer beschädigten Muster-Disk lapidar vermerkte: “Kein Problem, das File lasse ich mir noch mal per Compuserve übertragen”. Die europäischen Spiele-Publisher hatten damals noch keinen Internet-Zugang, nur progressive Entwickler in Kalifornien.

Später warst Du maßgeblich daran beteiligt, das neue Fachmagazin Video Games, an den Start zu bringen. Was hat Euch damals dazu veranlasst, neben dem erfolgreichen Multiformat-Heft PowerPlay, eine Zeitschrift am Markt zu etablieren, die sich ausschließlich mit Videospielen befasst? In dieser Zeit hatten es Konsolen gegen Heimcomputer und PCs in Deutschland noch sehr schwer, als Spielplattform…

Winnie Forster: Letzteres ist richtig: Mit Video Games kamen M&T und das Powerplay-Team dem Markt etwas zuvor, das Heft wurde parallel zur Entstehung einer deutschen Videospiel-Industrie aufgebaut. Ich denke, Projektleiter Heini sowie der Enthusiasmus und das Know-How des Atari-, Sega- und Nintendo-Fachmanns Martin Gaksch waren die Motoren der VG-Entstehung. Zum Ur-Team gehörte neben Michael Hengst auch Factor-Five-Chef Julian Eggebrecht. Ein Jahr später waren Heini, Boris und Julian dann schon Konkurrenten, mit der Zeitschrift Gamers des Hamburger Verlags MLV. Die Zahl der Spielemagazine sprang zwischen 1990 und 1993 von vier oder fünf auf rund 20 verschiedene monatliche Hefte.

1993 hast du dann zusammen mit Deinem M&T-Abteilungsleiter Martin Gaksch beschlossen, einen eigenen Verlag zu gründen – die Cybermedia GmbH – und ein neues monatliches Format herauszubringen: Man!ac, die heutige M! Games. Was bewog Euch zu diesem Schritt, und hättet Ihr Euch zu dieser Zeit träumen lassen, dass das Magazin im Jahr 2013 immer noch regelmäßig erscheint?

Winnie Forster: Dass unser, nach VG zweites Videospielheft ewig dauern und alle Mitbewerber überleben würde – ja, das haben wir uns damals schon träumen lassen 🙂 Was uns bewog, gemütliche M&T-Arbeitsplätze zugunsten eines selbständigen Neuanfangs aufzugeben? Der Wunsch nach Unabhängigkeit natürlich, der Unwille, defizitäre PC-Hefte (wie die Totgeburt Computer Live) durch unsere profitablen Games-Publikationen zu finanzieren und die Vorstellung, redaktionell noch besser und effektiver arbeiten zu können, als bei M&T. Unter anderem ging uns damals die Umstellung auf DTP viel zu langsam – M&T war zu groß und zu schwerfällig geworden. Mit der Cybermedia GmbH bauten wir ein schlankeres und schlagkräftiges, zudem auf die Games-Branche konzentriertes Unternehmen auf. Man!ac trat gegen jene Publikationen an, die wir selbst in den Jahren zuvor zu Marktführern gemacht hatten – das war spannend.

Was sind Deine aktuellen Projekte und was macht der Fachbuch-Verlag GAMEplan, den du 2002 aus der Taufe gehoben hast? Wenn ich mich recht erinnere, hast du vor einiger Zeit darüber gesprochen, ein neues Buch zum Thema Spiele und Software veröffentlichen zu wollen?

Winnie Forster: Das versprochene Software-Buch ist – nach Büchern zu Hardware, Controllern und Entwicklern – in Arbeit, dauert aber noch ein Weilchen, weil’s wohl das komplizierteste und umfangreichste Gameplan-Werk wird. Seit ein paar Jahren teile ich meine Bürozeit halb/halb in journalistische Arbeit (für Medien wie M! Games, Chip PowerPlay und Heises Retro Gamer) und Gameplan-Bücher, wobei ich mich nicht nur um Neukonzeptionen kümmere, sondern auch um erweiterte Auflagen und Übersetzungen. Dafür, dass es so lang dauert, bis ein neues Gameplan-Werk erscheint, möchte ich um Entschuldigung bitten: Es ist Philosophie von Gampelan, nicht gehetzte Infos und „News“ auf den Markt zu werfen, sondern ruhige und zurückgelehnte Analysen zu Markt, Technik und Ästhetik der Computer- und Videospiele.

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