Interviews

Heinrich Lenhardt (2024)

Zuerst meine obligatorische Anfangsfrage: Was hat deine bis heute anhaltende Liebe für Computer- und Videospiele ausgelöst?

Heinrich Lenhardt: Meine erste Liebe waren wohl Flipper. Ich erinnere mich an zwei Automaten im Hinterzimmer einer Wirtschaft am Münchner Stadtrand, und Papa hatte an manchem Wochenende das Vergnügen, mich dort hinzufahren und mit Münzgeld zu versorgen. Irgendwann in den 1970er-Jahren wurde eines der frühen Telespiele mit vier Pong-Varianten angeschafft, da sprang der Funke dann richtig über. Meine erste Konsole war ein Atari VCS, circa 1981/82, würde ich mal tippen. Mein erster Heimcomputer war 1984 der Commodore 64.

 

Der erste Schritt in deiner langen Karriere führte dich nach Haar bei München zum Markt+Technik Verlag. War es von vornherein dein Wunsch, eine journalistische Laufbahn einzuschlagen oder ist das mehr oder weniger zufällig passiert?

Heinrich Lenhardt: Ich fand Medien allgemein spannend und hatte bei der Schülerzeitung erste bescheidene „Blattmacher“-Erfahrungen gesammelt. Nur hatte ich weder Studium noch Journalistenschule-Ausbildung vorzuweisen, also blieb nur das Prinzip Hoffnung: Man mogelte sich irgendwie in irgendeine Redaktion, und dann mal gucken, was geht. 1983 verbrachte ich einige Monate als Praktikant beim Stadtmagazin „in München“, aber da wurde nichts draus (das Magazin gibt es erstaunlicherweise heute noch). Die Stellenanzeige von Markt+Technik in der Süddeutschen Zeitung war dann ein enormer Glücksfall für mich. Die suchten Leute, die sich für Computerspiele interessierten, und da zahlte sich meine „Vorbildung“ (VCS, Intellivision, Colecovision) aus.

 

Welche Erinnerungen an die Arbeit bei deiner ersten Zeitschrift Happy Computer (später dann Power Play) haben sich besonders in dein Hirn gebrannt? Meine damalige Vorstellung vom Arbeitsalltag eines Spieletesters war folgendermaßen: Den ganzen Tag zocken, Chips essen und Cola trinken, abends dann ein paar Zeilen tippen. 😉

Heinrich Lenhardt: Ich hatte im ersten Jahr ja alles Mögliche gemacht, Listings bearbeitet, Hardware begutachtet (meine kurze Karriere als MSX-Experte), usw. Als ich nach 6 Monaten Praktikum als Redakteur übernommen wurde, zeichnete sich schon ab, dass ich auch öfters mal einen Spieletest beisteuerte. Aber das erste Spiele-Sonderheft von Boris Schneider und mir erschien erst Ende 1985, 1 ½ Jahre nach meinen Start bei Markt+Technik.

Tagsüber in der Redaktion wurde gar nicht sooo viel gespielt. Klar, das gehörte auch dazu, vor allem an Computern, die man nicht privat daheim hatte. Aber im Mittelpunkt stand das Schreiben, Redigieren, Layouts kürzen, Industriekontakte pflegen, und so weiter. Dass man abends oder am Wochenende was am heimischen C64 (später Amiga, ST, PC) gespielt hat, gehörte schon dazu, das machten wir ja auch gerne.

 

Bei YouTube existiert ein großartiges  Video von einem Fernsehauftritt beim ZDF Ferienprogramm mit dir (mit voller Haarpracht und legendärem Schnäuzer). Hier hast du den Klassiker „Marble Madness“ für den Amiga vorgestellt. Gab es weitere Auftritte dieser Art und welche Erinnerungen hast du noch daran?  

Heinrich Lenhardt: Es gab damals eine redaktionelle Kooperation zwischen Markt+Technik und dem ZDF, diese Gelegenheit ist mir also in den Schoß gefallen. Erstaunlich, was man sich als junger Mensch so alles traut 🙂 Das waren ja Live-Sendungen, also durchaus Grund zur Nervosität. Es gab noch ein paar weitere Auftritte, „Heart of Africa“ und auch „Trivial Pursuit“, wenn ich mich nicht täusche. Das ZDF-Ferienprogramm hatte seinerzeit Benny Schnier moderiert, der war sehr nett und unkompliziert – und sein Hund „Wuschel“ war auch im Studio, was ich höchst sympathisch fand.

 

Nach Zerwürfnissen mit der damaligen Verlagsleitung und kurzzeitigen Gastspielen als Redakteur in Zeitschriften, wie der Video Games oder der Gamers hast du dich dazu entschlossen, mit der PC Player ein eigenes Heft auf die Beine zu stellen (zusammen mit Boris Schneider-Johne). Wie gelang dir bzw. euch damals das Kunststück, dieses Projekt so schnell finanziert zu bekommen und was war der Auslöser, ein weiteres PC-Only-Magazin auf den Markt zu bringen.

Heinrich Lenhardt: Die Verlagssuche war in der Tat etwas dramatisch. Wir wollten eigentlich schon im September 1992 auf den Markt kommen, zeitgleich mit PC Games. Aber bei deren Verlag (Computec) war die Gong-Verlagsgruppe involviert, die auch Anteile am ICP-Verlag hatte, mit dem wir PC Player publizieren wollten. Irgendwann hieß es aus Sorge um PC Games, dass ICP kein eigenes PC-Spielemagazin machen dürfte. Das war durchaus tragisch, aber dann hatten wir das riesige Glück, dass Michael Scharfenberger (mit dem hatte ich 1984 mein Bewerbungsgespräch bei Markt+Technik geführt) als Verlagsleiter bei DMV anfing – und ein Pizzaessen später hatten Boris und ich PC Player bei diesem Verlag untergebracht.

Es war damals sehr offensichtlich, dass der PC die dominierende Computerspiele-Plattform sein würde. So ab 1990 erschienen immer mehr der interessantesten neuen Spiele (Wing Commander, Monkey Island, Civilization, usw.) zuerst für den PC. Ich war schon 1991 beim Sonderheft „Power Play PC“ involviert, der Joker-Verlag startete dann Ende 1991 PC Joker – auch Magazine wie PC Games oder eben PC Player waren die Folge dieser Marktentwicklung.

 

Für die Heft-CD der PC Player habt ihr damals kleine Videos produziert, die den stressigen Redakteurs-Alltag auf humoristische Art dokumentierten (die sogenannten „Multimedia Leserbriefe“). Damit wart ihr eurer Zeit weit voraus. Welcher Aufwand ging damals für die Planung und Erstellung der Videos drauf und wie war das Feedback eurer Leser?

Heinrich Lenhardt: Das fing sehr bescheiden an, die ersten Multimedia-Leserbriefe waren eine spontane „Oh, da ist noch etwas Platz auf der CD und ich habe eine Videokamera“-Idee. Ab der zweiten Episode kümmerte sich zum Glück Toni Schwaiger um den Löwenanteil der Arbeit, er war einige Jahre der Kamera- und Schnittmann, Regisseur, Nachbearbeiter und Spezialeffekte-Maestro vom Dienst (als er dann bei GameStar weitere Videotaten vollbrachte, übernahm bei PC Player Henrik Fisch diese Aufgabe).

In der Anfangsphase hatten Boris und ich die groben „Drehbücher“ ausgeheckt, die Dreharbeiten konnten einen halben bis ganzen Arbeitstag in Anspruch nehmen. Nebenbei musste ja auch die Heftproduktion weiterlaufen, da fand so manche Aufnahme sicher auch am frühen Abend statt. In Erinnerung sind vor allem noch Außendrehs (Messe, Wildpark Poing, etc.) und Gaststars wie Sid Meier (in einem Mini-Sketch) oder Perry-Rhodan-Autor Arndt Ellmer.

 

Da dein beruflicher Werdegang sehr umfangreich ist, muss ich ein bisschen springen. Ende der 90er Jahre hast du deinen Wohnort dauerhaft nach Übersee (zuerst USA, dann Kanada) verlegt. Bis auf ein kurzes Intermezzo beim Computec-Verlag in Fürth hast du Deutschland seitdem den Rücken gekehrt. Wie hat sich deine Tätigkeit als Korrespondent und freier Mitarbeiter im Vergleich zu deinem bisherigen Arbeitsalltag damals geändert und hast du deinen Weggang aus der alten Heimat jemals bereut?

Heinrich Lenhardt: Der Zeitunterschied von 9 Stunden hat aus mir jedenfalls im Laufe der Jahre einen (relativen) Frühaufsteher gemacht, damit es zumindest ein wenig Arbeitszeitstunden-Überschneidung mit Deutschland gibt. Textfiles wurden zunächst noch per AOL-Dialup-Verbindung nach Deutschland übertragen, 1999 dann das erste DSL in Berkeley. Das Videomaterial habe ich als Originalkassette per FedEx-Kurier versandt (nicht ganz billig, dauerte aber nur zwei Arbeitstage). Ich war damals gar nicht wenig unterwegs und verbrachte viel Zeit im Flieger oder verfuhr mich in der Bay Area (GPS setzte sich erst ein paar Jahre später durch).

Aus heutiger Sicht wirkt das alles sehr anstrengend auf mich, aber damals fand ich es klasse, weil der Alltag in deutschen Spieleheftredaktionen nicht mehr ganz so spannend für mich war. Das war ausschlaggebend dafür, die Gelegenheit wahrzunehmen, als Korrespondent ins Ausland zu gehen. Weitere Faktoren waren die damalige auswanderungsfreudige Gattin und der Rat von Volker Weitz bzw. dessen Vater, der mal meinte, dass man solche Chancen als junger Mensch wahrnehmen sollte, bevor man zu alt und sesshaft wird – da ist was dran. Nach drei Jahren SF Bay Area bin ich dann rund um Vancouver heimisch geworden (da gab’s auch bessere Einwanderungsperspektiven als in den USA, wo man sehr aufs Pressevisum angewiesen war).

2006 hatte ich Deutschland wegen des spannenden Jobs bei Computec (buffed.de) noch einmal probiert, aber musste doch feststellen, dass es ein beharrliches British-Columbia-Heimweh gab. Mein Bedarf an transatlantischen Umzügen und den damit verbundenen Kosten und Komplikationen ist jedenfalls gedeckt 🙂 Deshalb bin ich ganz froh, auf Vancouver Island zur Ruhe gekommen zu sein.

Es hat sich auch sonst viel geändert. Ich schreibe kaum mehr Artikel, sondern mache eher Podcasts und bin im Spielebereich als Übersetzer tätig. Das geht alles sehr gut transatlantisch vom Home Office aus, in dem Modus arbeite ich ja schon seit den späten 1990er-Jahren.

 

Anlässlich des 25. Jubiläums der Power Play hattest du die Gelegenheit, die Zeitschrift unter dem Namen „CHIP Power Play“ noch einmal für ein paar Ausgaben aufleben zu lassen. Leider endete das Experiment 2014 mit der (bisher) endgültigen Einstellung des Hefts. Wie war damals die Resonanz der ehemaligen und neuen Leserschaft der Power Play und was denkst Du, waren die Gründe, warum das ehemals so beliebte Multiformat-Konzept nicht mehr funktionierte?

Heinrich Lenhardt: CHIP Power Play entwuchs aus ein paar Sonderheften, die der CHIP-Verlag im Retro-Bereich gemacht hatte (insbesondere das erfolgreiche C64-Sonderheft zum 30. Jubiläum des Commodore 64 im Jahr 2012). Wie so oft gab es da eine Markt+Technik-Connection: Es wurde ein Autor für die Spielethemen gesucht, und da hatte mich der frühere Kollege Martin Goldmann empfohlen. Ich schlug danach ein eigenes Spiele-Sonderheft unter dem Arbeitstitel „RetroPlay“ vor, das zum 25. PowerPlay-Jubiläum Ende 2012 erscheinen sollte. Letztendlich bekamen wir sogar grünes Licht für den endgültigen Namen CHIP PowerPlay, da Computec freundlicherweise seinen Segen gab (dort wurden die PowerPlay-Namensrechte vermutet, weil Computec mal Cypress geschluckt hatte, die wiederum einige Jahre PC PowerPlay gemacht hatten … alles recht kompliziert).

Nachdem eine erste Ausgabe gut ankam, planten wir alle drei Monate weitere Hefte von CHIP Power Play. Die Kioskverkäufe bröckelten dann, dafür waren die Abonnentenzahlen ermutigend. Leider gab’s dann durch einen Verlagsmanager-Wechsel keine Geduld mehr für dieses ganz interessante Objekt, das versuchte, den Spagat zwischen Retro und Moderne hinzukriegen.

 

Seit einigen Jahren trittst du neben deiner Tätigkeit als Autor regelmäßig als Podcaster in Erscheinung (u.a. zusammen mit Jörg Langer im Spieleveteranen-Podcast). Was reizt dich an diesem Medium besonders und wie ist deine Einschätzung zur Zukunft der Print-Branche?

Heinrich Lenhardt: Ich hing Ende der 1970er-Jahre begeistert vorm Radiorecorder, wenn Thomas Gottschalk Pop nach 8 auf Bayern 3 moderierte oder verfolgte die American Top 40 beim US-Soldatensender AFN Munich. Platten werden in unseren Podcasts zwar nicht aufgelegt, aber es macht mir sehr viel Spaß, den jugendlichen Berufswunsch „Radiomoderator“ auf diese Weise nachzuholen (und ich habe ja schon immer gerne geredet …). Los ging es für mich 2006 mit dem buffed-Cast, die Spieleveteranen gehen seit 2009 auf Sendung, inzwischen mache ich auch mit Christian Genzel „Pixelkino“-Episoden. Spaß macht auch die Unabhängigkeit, die Spieleveteranen werden komplett durch Patreon-Unterstützer finanziert.

Print ist heutzutage natürlich schwierig, aber ich bin da einfach nicht mehr tief genug im Thema drin, um Thesen über die Zukunft anstellen zu können. Für die richtigen Liebhaberobjekte wird es wohl immer eine funktionierende Nische geben, ich finde es zum Beispiel toll, wie der Kollege Jörg Langer die deutsche Retro Gamer etabliert hat. Aber die Massenmedium-Marktmacht, die Spielemagazine früher hatten, wird wohl nicht wiederkehren.

 

Zockst du in deiner Freizeit noch hin und wieder und falls ja, zieht es dich da eher zu alten Games hin oder bevorzugst du aktuelle Systeme?

Heinrich Lenhardt: Ich spiele oft aus „Recherchegründen“ altes Zeug, zum Beispiel wegen eines bestimmten Podcast-Themas oder dem nächsten eBook. Es ist immer interessant, Erinnerungen mit frischen Spieleindrücken abzugleichen, und viele Titel haben einiges von ihrem Charme bewahrt. Aber rein zur Entspannung haben aktuelle Spiele mit ihren Komfortannehmlichkeiten ihre Vorzüge. Es ist immer spannend, etwas Neues zu entdecken, auch wenn sich die Innovationen bei den Spielkonzepten eher in Grenzen halten. Aber von der witzigen Indie-Entdeckung bis zum schicken AAA-Rollenspiel gibt es noch mehr als genug Verlockungen. Die nötige Freizeit zu finden ist eher das Problem, aber das kennt man ja. Ich persönlich habe mehr davon, verschiedene Titel anzuspielen, als ewige lange an einem Umfangsmonster zu hocken.

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