In den 80ern und 90ern waren Spielezeitschriften das führende Medium, um sich über neue Computer- und Videospiele zu informieren. Ich habe in dieser Zeit Magazine wie die Power Play oder die Video Games verschlungen und war so immer auf dem laufenden, was Neuerscheinungen angeht. Die damaligen Spieletester waren für mich regelrechte Popstars und ich wusste genau, welche Präferenzen welcher Tester in welchem Genre hat und welche Games er (Frauen waren damals in dieser Branche quasi nicht existent) gar nicht ausstehen kann. Einer dieser “Popstars” war definitiv Michael Hengst, der für beide der oben genannten Fachzeitschriften tätig war. Umso mehr freut es mich, dass sich Michael zu einem kurzen Interview bereiterklärt hat.
Zuerst meine obligatorische Anfangsfrage: Was hat deine anhaltende Liebe für Computer- und Videospiele ausgelöst?
Michael Hengst: Kurze Antwort: „Pong“. Und dann die ganze Palette an Arcade-Spielen, die folgten – von Space Invaders, Outrun, Moonlander, Defender bis hin zu Xevious, Missile Command und Ghost ’N‘ Goblins. Dann gab’s natürlich ein VCS, einen ViC20, einen C64, und einen ST. Also die klassische Spielekarriere …
Du bist für deine Vorliebe für Rollenspiele bekannt. Kannst du dich noch an dein ersten RPG erinnern bzw. welcher Titel hat dich damals besonders beeindruckt?
Michael Hengst: Mein erstes RPG war “Tales of the Unknown: Volume I – The Bard’s Tale”, oder kurz “The Bard’s Tale”. Genauer gesagt eine dezentralisierte Sicherheitskopie. Und natürlich wusste ich nicht, was zu tun ist. Ich habe mir dann aus Neugier das Original besorgt – und das war es. Meine Liebe zu Rollenspielen war geboren!
Wie kamst du nach deiner Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann dazu, dich als Spieleredakteur bei der noch jungen Power Play zu bewerben?
Michael Hengst: Ich wurde praktisch abgeworben. Anatol Locker hatte mich angerufen und mich gefragt, ob ich Redakteur werden wollte, nachdem ich damals schon die Lösung zu Dungeon Master geschrieben hatte. Ich hatte dann ein normales Bewerbungsgespräch und bin ein paar Wochen später in die Nähe von München gezogen.
Wie war zu Beginn deiner Karriere die Zusammenarbeit mit den damaligen Spieletester-Urgesteinen Boris Schneider Johne und Heinrich Lenhardt? Musstest du hier erst mal die Gurken testen oder hat man dich direkt auf hochkarätige Spiele losgelassen?
Michael Hengst: Damals gab es da keine Anweisung, dass neue Leute nur Gurken testen. Da wurde schon ein bisschen nach Vorlieben verteilt. Und am Anfang entsprechend ein paar weniger Titel – später dann mehr. Und Boris war ja schon bei Rainbow Arts zu dem Zeitpunkt. Heinrich hatte aber eine feste Hand, was stilistische Sachen angeht, die heute noch sitzen: Überflüssige Anglizismen z.B. gab es nicht. Das war eine sehr, sehr gute Lehrstube!
Deine Abneigung gegen Nintendos Vorzeige-Klempner ist legendär. Stehst du nach wie vor zu deiner Einschätzung der Spielereihe oder bist du im Alter etwas milder geworden? ?
Michael Hengst: Na ja :-D. Das Spielprinzip und die Machart sind ja schon cool. Auch die späteren Marios sind aus Design-Sicht schon großartig und ein echtes Lehrstück. Ich werde nur dem Charakter nicht wirklich warm. Da hat auch das Alter nichts dran geändert. Ich schaue in neue Marios rein – aber das ist eher berufliche Neugier als Spaß an der Freud.
Nach einem kurzen Intermezzo bei der Video Games und deinem späteren Chefposten bei der Power Play hat es dich 1995 erstmalig in Richtung Spieleentwicklung gezogen. Was waren die Gründe hierfür und warum bist du ein paar Jahre später kurzfristig noch mal in die Redaktion der Power Play zurückgekehrt?
Michael Hengst: Das ist einfach: Ich bin weg, weil ich mit der eingeschlagenen Richtung der Verlagsleitung nicht zufrieden war. Und ich bin (kurz) zurück, weil es eine gute Möglichkeit war, ein bisschen Geld zu verdienen.?
Seit du der schreibenden Zunft endgültig den Rücken gekehrt hast, verdienst du deine Brötchen als Spieleproduzent. Wie hat dir dein neues Aufgabengebiet gefallen und an welchen Projekten hast du damals gearbeitet?
Michael Hengst: Oha. Endgültig habe ich ja der schreibenden Zunft nicht ganz den Rücken gekehrt. Und Spieleproduzent, also Producer, ist ja nur ein winzig kleiner Teil dessen, was ich gemacht habe (oder immer noch mache). Über produzieren, bis hin zum kompletten Design, dem Submission-Management, bis zur QA und Handbuch-Schreiben, über Projektplanung bis zur Budgetierung und dem Einholen von Förderungen reicht die Bandbreite der Tätigkeiten. Und sagen wir mal so: Es gefällt mir außerordentlich gut. Ich bin seit über 20 Jahren dabei (und rund 35 Jahre in der Branche). Wenn es mir nicht gefallen würde, wäre ich schon lange weg … im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts habe ich an rund zwei Dutzend Spielen (mit)gearbeitet. Unter anderem “Panzer Elite Action” und “Star Trek: New Adventures” und “Star Trek: Infinite Space” (die letzten beiden Titel erschienen leider nie, waren aber sehr spannend).
Im Laufe der Jahre warst du für verschiedene Entwickler tätig und hast dich 2011 mit deinem Studio Flying Fishkopp Production selbstständig gemacht. Welche Games hast du im Laufe der Jahre auf den Markt gebracht und für welche Systeme entwickelt ihr aktuell?
Michael Hengst: Studio wäre sicher ein wenig „vollmundig“. Ich bin ein einfacher Dienstleister und mache von Production über Design, Budgetierung, Planung so ziemlich alles, was der Kunde will. Das wohl erfolgreichste Spiel der letzten Jahre war sicher „Horse Club Adventures“, basierend auf der Schleich-Lizenz. Das kam für Switch, PS4 und PC raus. Da habe ich vom Design, bis Produktion und Submission so ziemlich alles gemacht (außer Code und Grafik). Der Titel war ein echter Verkaufshit – aber weiß kaum einer. Für Teil 2 habe ich dann die Förderung eingetütet. Für den Klienten damals insgesamt über alle Spiele fast 1 Mio Euro. Das war aber noch für einen deutschen Kleinstentwickler aus Süddeutschland. Heute ist einer meiner wichtigsten Klienten ein großer internationaler Publisher aus Holland mit fast einer halben Milliarde Euro Jahresumsatz und ein paar tausend Angestellten. Für die mache ich hauptsächlich den sogenannten Relationship Manager und rede deshalb oft mit Sony, Microsoft, Steam, Epic und Co. über neue Releases und aktuelle Submissions. Ich bin da also ein bisschen raus aus der reinen Produktion. Helfe aber den Entwicklern beim Sprung auf Konsolen.
Du schreibst heute wieder gelegentlich für Magazine, wie die deutsche Retro Gamer oder die Retro. Wie siehst du die Zukunft der Spieleberichterstattung? Wird es in ein paar Jahren noch Fachzeitschriften geben oder ist diese Zeit endgültig vorbei?
Michael Hengst: Die Zeiten für Spielemagazine sind schon lange vorbei. Die meisten Spieler informieren sich heute über YouTube oder Twitch über Neuheiten – das ist schneller und vor allem „bunter“. Die Retro-Magazine sind ja sehr spezifisch und haben eine feste Fangemeinde, und auch Jörg Langers Webseite Gamers Global wird in der Regel von (älteren) Fans getragen – die vor allem das alte Schreiber-Handwerk lieben und schätzen gelernt haben.
Zockst du neben deinem zeitintensiven Job hin und wieder noch privat und falls ja, was ist aktuell dein Lieblingsspiel?
Michael Hengst: Ja natürlich spiele ich noch. Das geht auch nicht weg. Einmal Spieler, immer Spieler. Beruflich spiele ich selbstverständlich die Titel meiner Klienten, und privat, welche Überraschung, vor allem JRPGs. Und es gibt nicht „ein“ Lieblingsspiel. Ich bin ein großer Fan der „Kiseki“ und der „Ys“-Spiele und habe gerade „Dragon Quest Treasures“ und „Atelier Ryza 3“ durchgespielt. Aktuell spiele ich „Advanced Wars 1+2 Reboot Camp“ und „Horizon Forbidden West Burning Shores”. Und werde natürlich “Tears of the Kingdom” spielen.