(Atlus, 2013)
Zuerst eine kleine Geschichtsstunde: Bereits 2008 erschien hierzulande der erste Teil der Rollenspielreihe Etrian Odyssey für den Nintendo DS. Das Spiel hatte aber leider so einige Macken (dünne Story, schlichte Optik, etc.) und wurde deshalb bei den meisten Kritikern kontrovers diskutiert. Trotz aller Mängel gelang es den Entwicklern der japanischen Firma Atlus jedoch, eine kleine, aber treue Fanbasis zu gewinnen, die sich nichts sehnlicher wünschte, als eine Fortsetzung. Der zweite Teil (Etrian Odyssey II: Heroes of Lagaard) ließ dann auch nicht lange auf sich warten, schaffte den Sprung nach Europa allerdings nicht. Das Spiel erschien lediglich in Nordamerika und Japan. Ebenso erging es Etrian Odyssey III: The Drowned City (2010). Europäische DS-Besitzer, die in den Genuss der beiden Fortsetzungen kommen wollten, mussten sich also wohl oder übel den US-Import besorgen, gute Englisch-Kenntnisse natürlich vorausgesetzt. Erst der vierte Teil, den wir in diesem Test durchleuchten möchten, schaffte wieder offiziell den Weg über den Atlantik – und damit in unsere Händlerregale.
Handlung, wer braucht schon eine Handlung?
In bester Tradition der Serie, ist auch die Hintergrundgeschichte des vierten Teils der Etrian-Odyssey-Reihe für den Nintendo 3DS sehr schnell umrissen: Neben den starken Anime-Einflüssen, haben sich die Macher vor allem von der nordischen Mythologie inspirieren lassen. Die Bewohner der Stadt Tharsis glauben fest daran, dass ihr Leben seit Jahrhunderten eng mit dem riesigen Weltenbaum “Yggdrasil” verknüpft ist, der in weiter Ferne am Horizont zu sehen ist. Zwischen der Stadt und dem sagenumwobenen Baum, der der Legende nach zufolge die Geheimnisse des Kosmos im Inneren seines Stamms beherbergen soll, liegt ein unerforschtes Land, in das sich natürlich nur die mutigsten Abenteurer wagen. Es versteht sich von selbst, dass ihr (zusammen mit einer kleinen Heldengruppe) dazu auserkoren wurdet, die gefährliche Reise auf euch zu nehmen, um das Geheimnis von Yggdrasil ein für allemal zu lüften.
Wer die Wahl hat, hat die Qual
Zu Beginn des Spiels müsst ihr euch erstmal für einen von zwei Schwierigkeitsgraden entscheiden. Wählt ihr die einfache Variante, erwacht eure Truppe nach jedem Ableben erneut in Tharsis. Weitere Konsequenzen hat euer Bildschirmtot allerdings nicht. Auch das Grinding sollte euch wesentlich weniger Mühe bereiten, als auf der normalen Schwierigkeitsstufe, die es dann wirklich in sich hat.
In alter Dungeon-Crawler-Manier dürft ihr eure Heldentruppe selbst zusammenstellen. Geschöpft werden darf hier aus dem gewohnten RPG-Arsenal. Ihr habt die Wahl zwischen folgenden Charakterklassen: Heiler, Krieger, Runenmaster (Kampfmagier), Verteidiger, Nightseeker, Sniper (Bogenschützen) oder Dancer. Die individuellen Vor- und Nachteile der einzelnen Klassen, werden euch in Form von Textboxen erklärt. Theoretisch ist es sogar möglich – wenn auch nicht ratsam – fünf Charaktere der selben Gattung auszuwählen. Euren persönlichen Spielvorlieben sind also keine Grenzen gesetzt. Ihr solltet jedoch bedenken, dass ihr immer nur fünf Personen gleichzeitig mit auf Entdeckungstour nehmen könnt. Den Rest der Truppe müsst ihr in der Stadt „zwischenlagern“. Im späteren Spielverlauf schaltet ihr dann noch weitere Klassen frei, sodass ihr gegen Ende eures Abenteuers aus einem Pool von bis zu zehn unterschiedlichen Charaktergruppen wählen könnt.
Ihr seid allerdings gut damit beraten, euch gleich zu Beginn Gedanken darüber zu machen, mit wem ihr euch ins Abenteuer stürzen wollt. Da das Aufleveln mitunter eine mühsame Angelegenheit sein kann, erleichtert ihr euch das Weiterkommen enorm, wenn ihr eine Gilde kreiert, die aus unterschiedlichen Klassen besteht und die sich mit ihren individuellen Fähigkeiten ergänzt. Zudem bestimmt ihr in jeder Klasse das Aussehen und das Geschlecht eures Charakters. Hier habt ihr jeweils vier unterschiedliche Varianten zur Auswahl. Es versteht sich fast von selbst, dass ihr sowohl eure Gilde, als auch eure Helden mit einem eigenen Namen versehen dürft. Dieses individuelle Zusammenstellen eurer Truppe hat allerdings zur Folge, dass eure Gruppenmitglieder keine eigene Hintergrundstory besitzen. Somit geht leider ein bisschen Spieltiefe verloren.
Klassisches Gameplay
Etrian Odyssey IV setzt eindeutig auf das klassische Dungeon-Crawler-Gameplay. Das heißt, ihr erkundet in der Ego-Perspektive eine Vielzahl großer und kleinerer Dungeons. Bei euren Erkundungen trefft ihr immer wieder auf genretypische Ungetüme, die bereits bei erstmaligem Kontakt ziemlich wehrhaft sein können. Wann eine Konfrontation mit einem oder mehreren Feinden bevorsteht, verrät euch ein Radar, das sich von grün nach rot verfärbt, sobald Gefahr in Verzug ist. So wisst ihr immer ziemlich genau, wann ihr mit einem Angriff rechnen müsst. Die Spielgeschehen wechselt bei Feindkontakt automatisch in den Kampfbildschirm, der euch die Monster (erstmals in der Geschichte der Etrian-Odyssey-Reihe) animiert, am oberen Bildschirm darstellt. Eure Heldengruppe ist während des Schlacht leider nicht sichtbar. Neben eurer eigenen, wird auch die Lebensenergie eurer Widersacher angezeigt. In alter Rollenspielmanier hat natürlich jeder Gegnertyp individuelle Schwachpunkte, die ihr – habt ihr sie erst einmal herausgefunden – gezielt attackieren könnt.
Das Kampfsystem ist klassisch rundenbasierend. Es gibt zwei Reihen, in denen ihr eure Helden nach Belieben platzieren könnt. Hierbei ist es von Vorteil, sich gut zu überlegen, wo genau welcher eurer Kumpanen stehen soll. In den vordersten Reihen empfiehlt es sich, schlagkräftige Nahkämpfer aufzustellen, wogegen Heiler und Zauberer selbstredend besser in der zweiten Reihe aufgehoben sind. Unterstützung erfahrt ihr innerhalb des Kampfes durch sogenannte “Burst-Talente”, von denen ihr insgesamt drei zur Auswahl habt. Sie schrauben entweder eure Verteidigung nach oben, oder verstärken bestimmte Spezial-Attacken eurer Abenteurer. Selbstverständlich ist der Einsatz dieser Fähigkeiten nur begrenzt möglich.
Neben den “normalen” Gegnern, gibt es noch sogenannte FOEs (Field of Enemy), vor denen ihr zu Beginn eines neuen Spielabschnitts lieber Reißaus nehmen solltet. Diese Ungetüme sind sehr widerstandsfähig und vertragen so einige Attacken. Wo sich diese FOEs genau befinden, egal ob sie euch gerade verfolgen, oder einfach nur hinter der nächsten Ecke auf euch lauern, wird glücklicherweise auf der Karte automatisch angezeigt. Apropos Karte: Neu in Etrian Odyssey IV sind die verschiedenen Übersichtskarten eurer Spielwelt, die ihr mittels eines Heißluftballons frei erkunden könnt. Hier werdet ihr zwar nicht in Zufallskämpfe verwickelt, dafür tummeln sich aber gerade hier jede Menge FOEs herum, die euch das Leben schwer machen wollen. Nehmt euch also in acht.
Eine nette Abwechslung im Spielgeschehen stellt die Möglichkeit dar, die FOEs kurzfristig mit speziellen Leckereien abzulenken, um einfach an ihnen vorbei zu fliegen. Die Snacks liegen überall auf der Oberwelt verstreut. Känguru-FOEs schwärmen zum Beispiel für Babykarotten. Praktischerweise lassen sich diese Leckerlis in Tharsis aber auch zu Geld machen, wenn mal wieder Ebbe in eurem Geldbeutel herrscht.
Im weiteren Spielverlauf bekommt euer Heißluftballon zusätzliche Fähigkeiten, die ihr zur Erkundung der Weltkarten frei einsetzen müsst. So steigt euer Ballon zum Beispiel höher als zu Beginn, was es euch zusätzlich ermöglicht, neue Areale der Oberwelt zu erforschen und so weitere Dungeons zu erreichen.
Auf eurer Reise gilt es natürlich, diverse storyrelevante Quests zu absolvieren. Abseits davon erwarten euch aber auch zahlreiche Nebenquests, für deren Lösung ihr nicht nur nützliche Items einsackt, sondern auch jede Menge Erfahrungspunkte ergattert.
Dreh und Angelpunkt eures Abenteuers ist aber die Stadt Tharsis, zu der ihr via Teleporter, oder mit Hilfe des Items “Ariadne Thread” jederzeit zurückkehren dürft, um beispielsweise im Gasthaus zu übernachten und dort einzelne Charaktere wiederzubeleben. Wie bereits erwähnt, dürft ihr in der Stadt aber auch Beutegegenstände in Bares verwandeln, um damit neue Rüstungsgegenstände oder Waffen zu kaufen.
Skills, wir brauchen mehr Skills!
Jeder Charakter besitzt einen Talentbaum mit verschiedenen, klassenspezifischen Fähigkeiten. Ihr beginnt als Novice, danach folgt der Rang des Veterans und schließlich der Master. Mit jedem Level-Aufstieg bekommt euer Held einen weiteren Skillpunkt, den ihr innerhalb seines Talentbaums (fast) beliebig einsetzen dürft. So könnt ihr bestimmte Fähigkeiten aufpowern, um beispielsweise die Wirkung eures Feuerschadens zu verstärken. Ihr verschiebt die Skills eurer Charakter genau so, wie ihr sie im Spiel einsetzen wollt. Also eher defensiv, oder offensiv. Manche Talente werden allerdings erst freigeschaltet, sobald ein bestimmtes Talent eine gewisse Skillstufe erreicht hat. Außerdem müsst ihr ein vorgegebenes Level erreicht haben, um vom Novizen zum Veteranen und schließlich zum Master aufzusteigen. Das klingt jetzt vielleicht komplizierter, als es eigentlich ist. Erfahrene Rollenspieler werden sich hier schnell zurecht finden.
Weniger ist mehr
Auf dem oberen Bildschirm eures 3DS bewegt ihr euch via Steuerkreuz durch die Dungeons, während auf dem unteren Touchscreen eure Karte eingeblendet wird, auf der ihr euch mit dem Stylus Notizen machen dürft. Das Kartographieren ist auch dringend notwendig, um sich in den verzweigten Labyrinthen nicht zu verlieren. Ein Automapping sucht ihr bei Etrian Odyssey IV vergeblich. Dieses Feature erinnert stark an die Karopapier-und-Bleistift-Zeiten der Dungeon-Crawler-Ära, Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre. So markiert ihr mit eurem Stylus beispielsweise Wege, Mauern, Fallen und Truhen. Ob ihr das nun nostalgisch oder veraltet findet, müsst ihr selbst entscheiden. Immerhin geht die Steuerung leicht von der Hand. Via Steuerkreuz bewegt ihr euch durch die weitläufige Spielwelt und mit dem Analog-Stick könnt ihr euch umschauen.
Ohrenschmaus aus Meisterhand
Verantwortlich für alle bisherigen Soundtracks der Etrian-Odyssey-Reihe ist kein Geringerer als Yuzo Koshiro, der sich vor allem in den 90ern mit seinen Kompositionen für The Revenge of Shinobi, Sonic the Hedehog und Streets of Rage einen Namen gemacht hat. Die stimmigen Orchesterklänge tragen enorm zur tollen Grundstimmung des Spiels bei. Je nach Situation sind die Melodien schön düster, oder mal dramatisch. Alles in allem unterstreichen sie das Spielgeschehen nahezu perfekt. Die optische Aufmachung der Dungeons ist schön anzuschauen. Abwechslungsreich und bunt, gelegentlich aber auch dunkel und geheimnisvoll. Allerdings hat man auf dem 3DS auch schon Hübscheres gesehen. Der dezente 3D-Effekt unterstreicht die Atmosphäre beim Erkunden der Dungeons gekonnt. Das Markenzeichen der Spielreihe sind aber nach wie vor die zahlreichen Textboxen, auf denen ihr die Gespräche verfolgen dürft. Gelegentlich werden in diesen Boxen auch die Gedanken und die Emotionen der einzelnen Personen beschrieben. Die detaillierte Beschreibung eurer Empfindungen und der Ereignisse erinnert stark an eine Visual Novel. Etrian Odyssey IV ist also nichts für Lesefaule.
Fazit: Ich selbst bin damals mehr durch Zufall auf den ersten Teil der EO-Reihe gestoßen und war sofort begeistert. Seit den Anfängen hat sich aber einiges getan. Im vierten Teil gibt es neben optionalen Dungeons und verschiedenen Oberwelten, noch mehr Charakterklassen und ein verfeinertes Skillsystem. Dennoch ist sich die Reihe im Kern treu geblieben und beweist, dass ein klassischer Dungeon Crawler auch heutzutage noch funktionieren kann, wenn er gut inszeniert und inhaltlich gut durchdacht ist. Es ist schon erstaunlich, wie die Stunden beim Zocken verfliegen und das Spiel ganz schnell sein Suchtpotential entfaltet. Für Dungeon-Crawler-Neulinge ist Etrian Odyssey IV dank der zahlreichen Tutorials ebenfalls geeignet. So wisst ihr eigentlich immer, wie ihr eine Quest zu lösen habt und wie ihr eure Fähigkeiten und Talente einsetzen müsst. Aufleveln ist allerdings Pflicht! Stupides Gegnerkloppen ist hierfür glücklicherweise nicht erforderlich, da die Gewichtung mehr auf den strategischen Kämpfen und einer wohlüberlegten Skillverteilung liegt. Schade ist nur, dass die Story geradezu belanglos daher kommt. Hier wäre eindeutig mehr drin gewesen. Die fehlende Lokalisierung stellt ebenfalls einen kleinen Wehmutstropfen dar. Dennoch lebt EO IV von seiner dichten Atmosphäre und dem wirklich gelungenen Soundtrack. Wenn ihr jetzt auch nur einen Funken Forscherdrang verspürt, solltet ihr euch schleunigst ins Abenteuer stürzen.