Allgemein Meinung

Von Monkey Island zu The Walking Dead. Sind das noch echte Adventures?

Adventures, mit ihrer typischen Point-and-Click-Steuerung, erfreuten sich in den 80´ern großer Beliebtheit und erreichten in den 90´er Jahren schließlich den Höhepunkt ihrer Popularität. Bis heute gelten speziell die von LucasArts entwickelten Spiele als Klassiker des Genres, die richtungsweisend für nachkommende Games dieser Art waren. So ziemlich jeder Retro Gamer bekommt heute noch leuchtende Augen, wenn Titel wie Monkey Island, Maniac Mansion oder Day of the Tentacle genannt werden. Kaum ein Entwickler dieser Epoche (mit Ausnahme von Sierra, mit ihrer Kings Quest- und Space Quest-Reihe) prägte das Genre mehr als LucasArts. Was passiert also, wenn ehemalige Mitarbeiter dieser legendären Adventure-Schmiede mit „modernen“ Spieleentwicklern zusammenarbeiten? Man könnte annehmen, dass einfach weitere Point-and-Click-Games mit moderner HD-Optik dabei herauskommen. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit, denn aktuelle Entwicklungsstudios wie Telltale Games (u.a. The Walking Dead, The Wolf Among Us) oder Quantic Dream (u.a. Heavy Rain, Beyond: Two Souls, Detroit: Become Human) verfolgen einen anderen Ansatz und die gewohnte Point-and-Click-Steuerung gerät immer mehr in den Hintergrund. Der Fokus wird dagegen voll und ganz auf die Story gelegt und der Spieler kann sich so noch mehr auf die Handlung konzentrieren und bekommt dank geschickt eingestreuten Quick-Time-Events und spielentscheidenden Dialogen das Gefühl, Regisseur und Protagonist zugleich zu sein. Die neue Devise lautet also: Weg vom Rätsellösen und näher hin zur Geschichte. Dies war die Geburtsstunde der interaktiven Filme.

 Ist das noch ein Spiel?

Als Spieler der genannten Titel fragt man sich, ob man es mit einem Film oder einem Spiel zu tun hat. Irgendwie ist es beides zugleich: Lange Cutscenes leiten in das Geschehen ein und stellen Charaktere vor, die nichts mehr mit den eher eindimensionalen Spielfiguren von damals gemein haben. Man hat vielmehr den Eindruck, es mit “echten” Menschen und ihren Schicksalen zu tun zu haben und tappt lange Zeit im Dunkeln, was ihre Beweggründe betrifft. Der Spieler entscheidet häufig im Laufe der Geschichte selbst (durch Gesprächsführungsoptionen), wie die Protagonisten zueinander stehen und miteinander interagieren. All das beeinflusst wiederum die Beziehungen, die Schicksale und schlussendlich den Fortlauf der Story.

All das erinnert stark an die vor allem in Japan beliebten Visual Novels, nur, dass wir als Spieler nicht mit endlos langen Textboxen konfrontiert werden, sondern eine cineastische Darstellung erleben, die einzig vergleichbar mit Filmen ist. Hinzu kommt, dass ein großer Wert auf die cineastische Präsentation gelegt wird. Die Synchronisation, die Lebendigkeit der Welt, in der die Geschichte spielt, das Art Design und die Kameraführung gewinnen an Bedeutungskraft und unterstreichen das filmisch-/ spielerische Erlebnis. Rätseleinlagen wurden auf ein Minimum reduziert und werden nur noch dosiert eingesetzt. Es scheint so, als hätte das klassische Adventure-Genre ausgedient oder zumindest neue Dimensionen erreicht.

Telltale Games: Der Name ist Programm

Während Quantic Dream auf Realismus setzt, echte Schauspieler engagiert, wie beispielsweise Ellen Page und William Defoe für Beyond: Two Souls, hat sich Telltale Games dem Comic-Look verschrieben, der mittlerweile das Markenzeichen der Firma geworden ist. Außerdem sind die Spiele von Telltale Games häufig in einer bereits bestehenden Welt (z.B. bei The Wolf Among Us) angesiedelt und/oder lehnen sich an bekannte Film- oder Serienklassiker an (z.B. Zurück in die Zukunft, Game of Thrones, Batman). Alle Spiele der Macher, mit Ausnahme der DLCs, erscheinen in fünf Episoden, die einzeln oder im Gesamtpaket vorab erstanden werden können, wobei eine Episode im Schnitt zwischen 1,5 und 2h Gameplay bietet. Auf diese Art wird die Nähe der Spiele zu TV-Serien oder Filmen betont, deren Fortgang zumeist mit längeren Wartepausen verbunden sind.

Es ist fast hinfällig, zu erwähnen, dass so ziemlich jede Telltale-Episode mit einem Cliffhänger endet, der neugierig auf den Fortlauf der Story machen soll. Anders als bei Quantic Dream legt Telltale Games mehr Wert auf die Gesprächsführung; Quick-Time-Events kommen somit wesentlich seltener vor als beim Genre-Konkurrenten und bestimmen zumeist nicht den weiteren Verlauf der Geschichte. Scheitert man, stirbt der Charakter nicht abrupt und man wird lediglich zum letzten Checkpoint zurückgesetzt und darf es nochmal probieren. Dezent unterschiedliche Enden sind inzwischen zwar an der Tagesordnung, aber über die Seasons hinweg haben diese keine wirkliche Auswirkungen auf die Hauptstoy, was meistens auch als Kritikpunkt bei vielen Telltale-Games angeführt wird. Insofern wird dem Spieler eher vorgegaukelt, den Verlauf der Geschichte entscheiden zu beeinflussen, tatsächlich sind es lediglich einzelne Abzweigungen innerhalb der Story, die etwas unterschiedlich verlaufen, am Ende aber stets wieder zusammengeführt werden. Quantic Dream ist hier konsequenter und lässt bei einer falschen Entscheidung oder einem missglückten Quick-Time-Event schon mal Protagonisten vor dem Ende des  Abenteuers sterben. Hier wird die Tragweite der eigenen Entscheidungen auf den Verlauf des Spiels noch deutlicher.

Beispiel: The Walking Dead (2012)

In der ersten Staffel von The Walking Dead: The Game schlüpft Ihr in die Rolle des schwarzen Geschichtsprofessors Lee Everett, der zu Beginn des Spiels auf das kleine Mädchen Clementine stößt und fortan für sie sorgt. Im Lauf der Geschichte haben aus der gleichnamigen TV-Serie bekannte Charaktere, wie Hershel und Glenn Gastauftritte, was einen netten Fanservice für Serienkenner darstellt. In den nachfolgenden Episoden gibt es weitere Gastauftritte, was den Eindruck eines Paralleluniversums innerhalb der Walking Dead-Welt unterstreicht. Dennoch kopiert Telltale Games nicht das TV-Original, sondern ergänzt es mit eigenen Handlungssträngen.

Ihr werdet im Verlauf des Spiels vor moralische Entscheidungen gestellt, die weder richtig noch falsch sind, sondern stets die durchweg düstere aber von Hoffnung geprägte Atmosphäre unterstreichen: So müsst ihr euch beispielsweise irgendwann unter Zeitdruck entscheiden, ob ihr entweder die eine oder die andere Person vor den Zombies rettet. Das hat rudimentären Einfluss auf die Folgeepisoden. Je nachdem, wen ihr rettet, stellt ihr euch gut mit gewissen Personen und verscherzt es euch im Gegenzug mit anderen. Dafür wird euch die gerettete Figur anschließend in den folgenden Episoden länger begleiten.

Allgemein spielt der Zeitdruck durchgehend eine große Rolle. Fast alle Antworten, die ihr in Gesprächen geben könnt, sowie die vereinzelten Quick-Time-Events müssen schnell geschehen. Viel Zeit zu überlegen, um mögliche Konsequenzen zu überdenken, habt ihr nicht. Das bringt Tempo ins Spielgeschehen und mehr als einmal werdet ihr euch fragen: War meine Entscheidung richtig? Was könnte die mögliche Konsequenz sein? Dieses ungute Gefühl ist genau so gewollt und fesselt den Spieler an das interaktive Geschehen auf dem Bildschirm.

Nach und nach erfahrt ihr mehr über Clementine und Lee, werdet Zeuge, wie sie sich gegenseitig ans Herz wachsen. Lange Nahaufnahmen unterstreichen die Gefühle der Charaktere. Ihr stoßt auf Nebenfiguren wie Kenny, der euch anfangs nicht besonders sympathisch erscheinen wird, aber hinter dessen rauer Fassade ihr schon bald blicken werdet. So ziemlich alle Protagonisten sind bis ins Detail ausgearbeitet und oftmals verschwimmt die Grenze zwischen Gut und Böse; selbst bei den vermeintlichen Antihelden.

The Walking Dead fokussiert sich ausschließlich auf die Story, was diese Art von modernem Adventure auch so besonders macht: Mit ihr steht und fällt das Spiel. Da schaut man auch gern mal über die technischen Mängel hinweg, denn Telltales Engine ist leicht eingestaubt (zumindest bis zur dritten Staffel), ab und zu hat man es deshalb mit Abstürzen oder eingefrorenen Bildschirmen zu tun.

Ganz im Geiste von George A. Romero (dem Erfinder des modernen Zombie-Genres) führen die erschienenen Episoden der Walking-Dead-Reihe von Telltale fort, was die gleichnamige TV-Serie seinerzeit so beliebt gemacht hat: Nicht primär die Zombies (im Walking-Dead-Universum “Walker” genannt) stellen eine Gefahr für die Menschheit dar, sondern in erster Linie sind es die Menschen selbst, die sich aus unterschiedlichen Beweggründen gegenseitig bekämpfen. Die Gesellschaftskritik ist somit allgegenwärtig.

Mittlerweile umfasst Telltales Walking-Dead-Universum drei Staffeln und diverse DLCs (u.a. The Walking Dead: Michonne und 400 Days). Erst kürzlich ist die erste Episode der vierten und letzten Staffel rund um Clementine erschienen (für PC via Steam, PS4 und Xbox One). Speziell mit der Walking-Dead-Reihe hat Telltale Games zum eigenen Stil gefunden; sowohl optisch als auch inhaltlich. Im Vergleich zu anderen Genrevertretern erkennt man ein Telltale-Game sofort und weiß, was einen erwartet. Entgegen aller Kritik in punkto fehlendem Gameplay und vernachlässigten Rätseleinlagen sind die Macher ihrer Handschrift bis heute treu geblieben und haben somit an der Entstehung eines neuen Videospielgenres mitgewirkt: dem interaktiven (Abenteuer-)Film.

Fazit: Mit interaktiven Filmen verhält es sich wie mit Oliven; entweder man liebt sie, oder man hasst sie. Ich mag moderne Adventures nicht nur, ich LIEBE sie! Der reduzierte spielerische Anteil stört mich in keins der Weise, weil ich lieber ein Teil der Geschichte sein und die Gesprächsführungen beeinflussen möchte. Unlogische Rätsel und stundenlanges, stupides Ausprobieren von Gegenständen, wie es noch in den LucasArts- und Sierra-Spielen an der Tagesordnung war, vermisse ich nicht die Bohne. Mit der “Walking Dead: Collection” hat Telltale Games zudem eine längst fällige technische Überarbeitungen der ersten Staffel vorgenommen. Jetzt sieht die Spielewelt gleich viel „schöner“ aus und die obligatorischen Telltale-Bugs gehören endlich der Vergangenheit an. Ich habe die erste Season inzwischen zweimal durchgespielt. Obwohl ich beim wiederholten Spielen bereits wusste, welchen Verlauf die Story nehmen wird, habe ich erneut mitgefiebert und am Ende wieder Tränen vergossen. Das ist vergleichbar mit einem guten Buch, das man immer wieder lesen kann und in dem man immer wieder Neues entdeckt. Die nachfolgenden Staffeln, in denen man erstmals Clementine selbst spielt, konnten für mich nicht mehr die Klasse der ersten Season erreichen, aber dennoch blieb die Handlung immer noch spannend genug, um mich bis zum Schluss mit den Protagonisten mitzufiebern zu lassen. Ich freue mich nun auf die in den Startlöchern stehende Final Season und bin jetzt schon ein bisschen traurig, dass Clementines Geschichte damit ein Ende finden wird. Für mich sind Adventures mindestens genauso reizvoll, wie zu ihrer Anfangszeit. Nur meine Spielgewohnheiten haben sich eben ein bisschen verändert.

Das könnte Sie auch interessieren.